Freitag, 23. Januar 2015

Baustelle und Geburt

man wird erfinderisch
an Ängsten, die man um den Geburtstermin ausbrüten kann.
Was jetzt seit Weihnachten alles war, ich darf aufzählen:

zuerst mein desaströser Zustand mit Luftnot, Japsend, zu entkräftet für den Alltag mit Kaufen und Rennen, hätte ich nicht gedacht, nochmal die Kurve zu kriegen und nach den Ferien wieder einzusteigen, mit Kindergarten und Terminen.

Bereits der erste Tag hat mich jedoch von meinem Laufen auf Sparflamme abgelenkt und ich mußte wieder den Ofen der Sorgen anfachen.
Neues Brennholz fürs Feuer. Waren die Windpocken, die im Kindergarten kusierten. Ärzte mußten befragt, mein Blut auf Schutz getestet werden, während jeden Tag neue Fälle im Kindergarten bekannt wurden.

Nach zwei Tagen wurde diese Sorge erneut abgelöst, da wurde der Papa dann krank, mit einer deftigen Erkältung. Ich konzentrierte mich wieder auf das, was innerhalb der Familie an Gefahren so flog. Und es flogen die Keime. Luise hats auch erwischt. Warum mich nicht, weiß ich eigentlich nicht?

Und dann kams. Der Wasserrohrbruch. Wasserflecken. Tropfen von der Kellerdecke. Wasser das sogar in den Stromkasten lief.
Seitdem erleben wir einen regelrechten Einzug des Vermieters in unsere verschleppte Privatsphäre.
Jeden Tag gab es Debatten mit ihm und den Handwerkern.
Zuerst wurde das Leck gesucht und geflickt. Dazu die Böden im Flur aufgestemmt. Das ging ganz gut. Neues Rohr verlegt und wieder Wasser aufgedreht. Nach einer Woche hatten wir also im WC wieder eine Klopsülung statt Eimer zu schleppen.
Erste Miete.

Dann kam die Trocknung der Böden. Mit tösenden Bautrocknern, Ventilatoren und Seitenschaftverdichtern wird nun rund um die Uhr die Feuchtigkeit aus dem Boden gezogen. Im gesamten Dielenbereich ist es nicht mehr so wohnlich. "Es brummen die Motoren."
Die Kinder und der Papa haben sich zum Schlafen weit zurückgezogen. Ins Dachstudio. Ich habe im Wohnzimmer Quatier bezogen. Meine nächtlichen Klogänge erlauben mir nicht soviel Ruhe. Und jedesmal die Treppe rauf und runter mit meinen unhaltbaren Ausmassen mache ich nicht.
Gleich kommt erneut der Vermieter. Jeden Tag jetzt Besuch. Heute ein fröhliches Treffen mit dem Gutachter seiner Versicherung, der sich ein Bild von der Baustelle machen und somit die zu erstattenden Kosten attestieren will.

Womit wir beim Knackpunkt wären.
Die Ansprüche. Welche können wir geltend machen?
Diese Frage bewegt nun seit Tagen und Wochen den Mann und Vermieter. Der Gemahl konnte nach Aufbau der Trocknungsanlage nicht umhin als einen Tag lang grollend im Flur zu weilen. Gedanklich umtriebig. Vermutlich rasend auf der Jagd nach der Person, die für diesen Diskomfort verantwortlich gemacht werden kann.
Ich stelle mir das einfallsreich vor. Wenn so etwas PASSIERT. Der Verstand muß enorme Sprünge, geradezu Verrenkungen machen. Oder ist es eine Frage der Phantasie?
Vielleicht sogar eher als sonst etwas. Wenn Dinge passieren, Unfälle oder dergleichen und man sie braucht, wie die Luft zum Atmen, die Person, die Schuld hat daran, dann muß man sich schon sehr weit in die Welt der Vorstellungskraft begeben. Muß sich belügen, Logik verdrehen, hinter jedem Busch nachsehen, ob er da steckt, der Fiese, Verantwortliche, der heißbegehrte Buhmann, der letzte Mokamikander der schuldig ist, an all diesem hier.

Naja, auf jeden Fall durfte ich wieder fungieren. Als Blitzableiter. Wenn auch diesmal nicht ganz so schlimm, denn direkt angefragt, ob ich um Mietminderung bitte ist es mir lieber als selber zum Schuldigen zu mutieren. Gut also. Er schickt eine Email, ich bekomme den Anruf ab, der darauf folgt. Darf Wogen glätten, darf vermitteln. Wie mich das anstrengt. Wie mich das wurmt.
Dann wieder stundenlang reden, was hat er gesagt?
Reden, aber bitte ganz weich. Schön soft, keine Feindseligkeit durchsickern lassen. Das wäre zu sehr Anlaß wieder zu zürnen. Ich will sie ja nicht, diese Personalisierung von Schicksal, diese Schuldmacherei.

Ich will das nicht und bin dankbar, das nicht zu brauchen. Wenn etwas unangenehmes passiert kann ich es selber ertragen. Ohne weitere Personen daran zu beteiligen. Ich habe die Fähigkeit, mich mit Dingen abzufinden, mir ein Weiter zu überlegen, anstatt einen Anwalt zu holen.

Naja und hier haben wir uns jetzt eingerichtet, zurückgezogen in die letzten Räume bevor der Radau beginnt. Die Kinder schlafen mit dem Papa im Dachstudio, ich bleibe ebenerdig wegen meinem überirdischen Bauch. Den mag ich nicht zig mal nachts die Treppe rauf und runterschunkeln, wenn ich das Klo aufsuche.

Auf jedenfall gibt es in Sachen Geburt keine Neuigkeiten. Benjamin liegt in meinem Bauch und strampelt und sorgt für eine gnadenlose Bauchdeckenspannung. Nachts kann ich kaum schlafen, weil ich meine, die Muskulatur würde zerreißen. Dazu kommt ein Gewicht, welches sich nicht mehr aussprechen läßt. Nehme Nachtkerzenkapseln, gehe spazieren um den Bauch zu senken, doch der Magen hängt mir unter dem Kinn. Und der Inhalt steht in der Kehle. Das ist unschön. Nachts spannt es so stark, dass ich stöhne. Meine Haut juckt und sieht fürchterlich aus. Und zu allem Überfluß habe ich meine Beine beim Arzt im Spiegel gesehen. Was sind das für zwei formlose Sackgestalten geworden, was für Würste?
Entsetzen sitzt mir in den Gliedern. Nie mehr normal auszusehen. ich habe schon Angst.

Und dann die Geburt. Die neue Zeitrechnung steht kurz bevor. Vielleicht ist es nächste Woche soweit? Yasmin hat von "Anschubsen" gesprochen. Bedeutungsschwanger, habe nicht nachgefragt. Heißt das nun konkret einleiten? Ich vermute jedoch nur ein Weichmacher für den Muttermund, das muß noch gar nicht ans Eingemachte gehen. Nehme dennoch meine Taschen mit. Die immer ungeduldiger stehen, und immer ihre Standorte wechseln.
Da wäre einmal die neue Wickeltasche, die meine Geburtstasche sein wird. Mit XXL T-Shirt, Bauchband, Massageball, Bademantel und Handtuch fürs Baby. Dazu allerhand kosmetischer Schnickschnack wie Labello, Salbe, Lavendel, Traubenzucker, Yogurette, eine Postkarte von Mums, und Firlefanz.
Dann die Tasche für die Station.
Darauf freue ich mich in diesem Baustellenzustand am meisten. Vielleicht sogar - welch Luxus - alleine im Zimmer? Nur mein Söhnchen zwei und ich. Ach wäre das fein.
Und um dem ganzen Nachdruck zu verleihen muß noch eine dritte Tasche mit. Mit Daunenkopfkissen und den Geschenken für die Kinder. ich bin so in Erwratung als würde ich auf Weltreise gehen. Und irgendwie ist es ja auch so. Die Welt wird einmal umrundet, um Ende wieder hier zu landen. Mit einem Baby in meinen Armen. Und nichts wird dann mehr so sein wie vorher. Wenn Benjamin erstmal geboren ist. Eine Zeit vor ihm, werde ich mir dann nicht mehr vorstellen können.
Ja da wird dann mein Verstand mich betrügen. So real sie es auch heute ist, die Welt hier und jetzt, bald wird sie so nicht mehr sein.

Der Papa ist heute übrigens mit den Kindern nach Bonn gefahren. Die neuen Schuhe für Luise müssen abgeholt werden. Ich mag nicht mehr fahren. Er übernimmmt das vorbildlich. Wie er nach diesem kleinen Intermezzo mit dem Buhmannzorn zur Zeit sowieso sehr vorbildlich ist.
Gestern sogar die Baustellengeräte neu sortiert hat. Die aus dem Keller in den Flur gerückt, weil die effektiver sind, die Ansaugschläuche immer wieder umpositioniert auf der Suche nach bester Lage, Stromkabel neue verklebt und überhaupt. Da ging es aufwärts. Nach dem Zorn kommt die Tat.
Und sowieso: wie er sich wandeln kann. Unter behutsamer Behandlung blüht er auf. Hält man die Härte der Realität fern und übernimmt die Auseinandersetzung mit Anderen für ihn, kann er nur gedeihen.
Nur geschützt vor dem Konflikt kann er sich nützlich machen. Und so war es gestern endlich gut.

Schon verrückt diese Wandlungen. Eigentlich nicht mal direkt seine Verwandlung, sondern seine extrem verschiedenen Bereitschaften.
Zum Beispiel die Bereitschaft uns zu sehen, also die Familie. Im Gegensatz dazu nur für sich zu leben. Komplett und dicht in seiner Welt. Das sind zwei Paar Schuhe. Aber wo war ich?
Achja, Benjamin - wo bleibst du?
Wie wird die Geburt sein?
Schön oder brutal?
An Land oder im Wasser?
Normal oder pathologisch?
Übersichtlich oder akut?
Es kann so viel passieren. Und auch das muß alles hingenommen werden. Ohne Rechtschutz und Klage. Ohne leibhaftig Schuldigem.

Tja und diese letzten Tage lohnt sich auch kein Nestbautrieb mehr. Die Baustelle im Flur bläst Staub und Lärm auf jede plüschige Vorkehrung.

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